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Die Arbeiten von Sylvia Berndorfer bedienen sich einer etwas reduzierten Farbigkeit, die an eine Traumwelt erinnert. Ausgehend von Fotografien ihr unbekannter Personen, die sie auf Flohmärkten findet, gestaltet Berndorfer durch Ausschneiden einzelner Motive Collagen, die sie dann malerisch umsetzt. In ihren Bildwelten erschafft sie neue, fiktive Biografien für Personen, von deren Existenz nur mehr ein altes vergilbtes Foto auf einem Flohmarkt zeugt.
Die verlorene Biografie ist für die Künstlerin der Ausgangspunkt ihres künstlerischen Prozesses, in dem sie nicht reale, aber empfundene Erinnerungsräume schafft. Das Spiel mit Größenverhältnissen stellt einen Hinweis auf das Ausgangsmedium der Collage dar und ergibt in der malerischen Umsetzung einen verfremdenden Effekt mit starker symbolhafter Wirkung. Fabriksschlote erzählen von einer lebensfeindlichen Umgebung, in der die Figuren, die von der Vergangenheit in die Gegenwart gehoben werden, nun leben. Die schier endlosen Stufen lassen an Freuds Traumdeutung denken. Die Bilderzählung wirkt surreal und geheimnisvoll. Undefinierte Farbräume deuten auf Leerstellen in den fiktiven Biografien hin, zu denen es keine Erinnerung mehr gibt.

 

The works of Sylvia Berndorfer make use of a somewhat reduced colorfulness that is reminiscent of a dream world. Starting from photographs of people unknown to her, which she finds at flea markets, Berndorfer creates collages by cutting out individual motifs, which she then transforms into paintings. In her pictorial worlds, she creates new, fictitious biographies for people whose existence is only attested to by an old yellowed photograph at a flea market.
For the artist, the lost biography is the starting point of her artistic process, in which she creates spaces of memory that are not real, but felt. The play with proportions is a reference to the initial medium of collage and, in the painterly realization, results in an alienating effect with a strong symbolic impact. Factory chimneys tell of a hostile environment in which the figures, lifted from the past into the present, now live. The seemingly endless steps are reminiscent of Freud's Interpretation of Dreams. The pictorial narrative seems surreal and mysterious. Undefined color spaces suggest voids in the fictional biographies to which there is no longer any memory.

 

 

Mag.a Angelika Doppelbauer


Berndorfer stellt Menschen dar, die Teil einer nicht weiter erzählten Geschichte zu sein scheinen. Die wenigen Verweise, die eine Zuordnung in einen räumlichen oder zeitlichen Kontext ermöglichen, lassen einen Interpretationsspielraum in Traum- oder Zwischenwelten zu. Die Künstlerin bedient sich Metaphern von starker Ausdruckskraft, die mitunter eine Affinität zum Unheimlichen zeigen. Dazu gehören die großen Augen der dargestellten Personen oder die irritierende Positionierung von bedrohlichen oder symbolträchtigen Objekten.
Ihre künstlerischen Formulierungen sind hierbei nicht nur Malerei, sondern stehen in direkter Verbindung zur Fotografie. Sie reagiert auf Fotos, die offenbar spontan und zum Teil inszeniert von Amateuren aufgenommen wurden, und eigentlich ihren Platz in privaten Fotoalben finden sollten. Durch das Isolieren aus dem privaten Kontext der Erinnerung kommt es somit zu einer Umkehrung von Intimität und Anonymität. Durch die Übertragung auf die Leinwand erhalten die Bilder oder vielmehr die Dargestellten eine neue / alte Präsenz, die den Bereich des Unheimlichen tangieren. Ihre Bilder bewegen sich somit zwischen Dokumentation und Fiktion. Gleichzeitig rückt sie das Bildthema in den Bereich des Phantastischen, Traumhaften oder Geisterhaften, längst vergangener Realität. Durch das Beibehalten eines Farbspektrums vermutet man eine Anspielung auf das Foto-Negativ, gleichzeitig entfernt sie sich von der handlichen, intimen Fotografie hin zur großformatigen Leinwand. Ihre Bilder zeigen auf, machen Erinnerungsprozesse und den Umgang mit Fotografie bewusst, geben aber gleichzeitig Rätsel auf. Das Ergebnis ist ein spannendes Zusammenspiel an der Schnittstelle von Malerei und Fotografie.

 

Berndorfer depicts people who seem to be part of a story that is not told any further. The few references, which allow an assignment to a spatial or temporal context, leave room for interpretation in dream or in-between worlds. The artist makes use of metaphors of strong expressive power, which sometimes show an affinity to the uncanny. These include the wide eyes of the persons depicted or the irritating positioning of threatening or symbolic objects.
Her artistic formulations here are not just painting, but are directly related to photography. She reacts to photos that were apparently taken spontaneously and partly staged by amateurs, and should actually find their place in private photo albums. By isolating them from the private context of memory, an inversion of intimacy and anonymity thus occurs. By transferring them to the canvas, the images, or rather the sitters, take on a new/old presence, tangential to the realm of the uncanny. Her images thus move between documentation and fiction. At the same time, she moves the pictorial theme into the realm of the fantastic, dreamlike or ghostly, long-gone reality. By maintaining a color spectrum, one suspects an allusion to the photo negative, at the same time she moves away from the handy, intimate photograph to the large-format canvas. Her pictures point out, make aware memory processes and the handling of photography, but at the same time pose riddles. The result is an exciting interplay at the intersection of painting and photography.

 

 

Dr.in Inga Kleinknecht


„In lieber Erinnerung an Deine Cousine Mizzi, 1942“ könnte auf der Rückseite eines der Fotos stehen, die Syliva Berndorfer auf Flohmärkten kauft. Sie sammelt historische Fotografien, vor allem Porträts. Die Abzüge zeigen Ausschnitte aus dem täglichen Leben von Menschen, die sie nicht kennt, Sonntagsspaziergänge oder eine Familie vor dem Weihnachtsbaum. Die Künstlerin übersetzt die Fotos teilweise in Malerei. Dabei manipulierte sie oft nur wenig, indem sie zum Beispiel die Augen vergrößert, oder die schwarz-weißen Vorbilder in nahezu monochrome, äußerst reduzierte Farbgestaltungen übersetzt. Durch die Einführung von Farbe erreicht sie eine Aktualisierung und holt die historischen Aufnahmen in die Gegenwart. Minutiöse Abstufungen verschiedener Helligkeiten innerhalb eines Farbtons erzeugen Nuancen von Licht und Schatten. Berndorfer malt in virtuoser Technik und mit großem Farbgefühl in Öl auf Leinwand. Ihr Mut zur Reduktion und zu Leerstellen innerhalb ihrer Bilder verleiht den Betrachtenden Raum für die eigene Fantasie. Als ihre Fotosammlung wächst, entscheidet sich Sylvia Berndorfer dazu, diese auch als Material für Collagen zu verwenden. Längst sammelt sie nicht mehr nur Porträtfotos, sondern auch Bilder aus Zeitschriften und sogar Fotonegative. In manchen ihrer Malereien reproduziert sie die umgekehrte Farbigkeit dieser Negative, in denen Helles plötzlich dunkel erscheint und Dunkles hell. Ein strahlender Sommerhimmel wölbt sich nahezu schwarz über den Köpfen der Menschen, die vor einem ursprünglich dunklen, im Bild strahlend hellen Wald dargestellt sind. Ihre Collagen gestaltet Berndorfer immer mit viel Respekt vor dem Material. Sie schneidet die Motive so sorgfältig aus, dass sie auch die Szene rundherum noch für weitere Arbeiten verwenden kann. Die Künstlerin ist überzeugt, dass die liebevolle Erinnerung eines Menschen nicht achtlos zerschnitten werden dürfe. Die Motive aus den Fotos kombiniert sie in ihren Collagen mit Ausschnitten aus Zeitschriften und gemalten Passagen. Handelt es sich bei den Collagen um sorgfältig komponierte Bildgestaltungen, so nutzt Sylvia Berndorfer die Collagetechnik auch für ihre so genannten Doodles. Diese spontanen Arbeiten gestaltet sie aus dem Bauch heraus, wie das Kritzeln während eines Telefongesprächs. Tagebuchartig entsteht so jeden Tag ein „Doodle of the day“, den sie über Instagram veröffentlicht. Ohne viel zu überlegen greift sie intuitiv zu Motiven, die sie gerade beschäftigen und nutzt die Technik, um mit dem Unterbewussten zu arbeiten. Finden statt suchen lautet das Motto, unter dem Berndorfer darauf achtet, was auf sie zukommt. Die Suche startet erst im Laufe der Arbeit, wenn ein Thema einmal geöffnet ist und eine formal und inhaltlich passende Weiterführung benötigt. Diese intuitive Arbeit ist vergleichbar mit der écriture automatique, einer Methode der freien Assoziation, die ursprünglich von der Psychotherapie entwickelt und dann von den Surrealisten verwendet wurde. Bilder, Gefühle und Ausdrücke sollten dabei möglichst spontan, ohne das Eingreifen und die Kontrolle des Intellekts wiedergegeben werden. Die Technik des Doodelns verleiht der Künstlerin die Freiheit zu schöpferischer Kreativität und völlig freiem Arbeiten. Ihre Doodle-Sammlungen sind großartige Bücher in unglaublicher Frische und zeugen von großem Einfallsreichtum und Witz. Oft bilden sie später den Ausgangspunkt für Bildfindungen in Gemälden. Hierfür werden sie malerisch weiterentwickelt und im Format verändert. Die oft sehr kleinen Doodles übersetzt Berndorfer in großformatige Malereien. Sylvia Berndorfer beobachtet gesellschaftliche Phänomene und lässt sie in ihre Arbeit einfließen. Sie bearbeitet ihre Themen mit Tiefgang, Poesie und Witz. Ihre Bilder erzählen von Alltagsthemen, die viele Menschen beschäftigen, widmen sich dem menschlichen Zusammenleben, positionieren sich jedoch auch durchaus kritisch dazu. Ihr Repertoire reicht von Corona über die Emanzipation, den Missbrauchsskandal, die Klimakrise, Kinder- und Hundeerziehung bis zu der Frage ob es wichtig sei, Nahrungsergänzungsmittel zu sich zu nehmen. Ihre Arbeiten sind ein Nachdenken mit den Mitteln der bildenden Kunst. Hierbei ist es ihr nicht wichtig, dass die Betrachtenden das Thema genau erkennen, das sie zum Schaffen eines Bildes veranlasst. Die Werke können für verschiedene Menschen ganz unterschiedliche Bedeutungen und Wirkungen entfalten. Im Gegenteil möchte die Künstlerin die Themen offenhalten. Sie sollen Anlass zur Beschäftigung geben, Fragen aufwerfen, nicht Antworten geben. Was für manche bedrohlich ist, kann auf andere tröstlich wirken. Die Betrachtenden nehmen die Kunstwerke aus ihrer eigenen, völlig individuellen Perspektive wahr. So sind sie immer Teil des Kunstwerks, rezipieren es aus ihrer subjektiven Lebenssituation und Persönlichkeit heraus. Aus dem vorgefundenen Material in Form von Fotos und Zeitungsausschnitten entstehen neue Geschichten durch die Gestaltung der Künstlerin und den individuellen Deutungsprozess der Betrachtenden. Neue Biografien zu den alten Fotos vom Flohmarkt, deren Protagonisten keiner mehr kennt. Sylvia Berndorfer gestaltet Personen mit vielsagenden Blicken und Gesten, die doch unergründlich bleiben. Ihre Bilder geben vielfältigen Anlass für Gedanken. Wie Märchen scheinen sie aus einer geheimnisvollen Welt zu stammen, in der alles möglich ist. Wie in einem Traum wirken auch die Farben irgendwie unrealistisch und wenig bunt. Vergleichbar mit Alice im Wunderland können die Größenverhältnisse innerhalb eines Bildes völlig irreal sein und haben etwas Magisches. Auf den ersten Blick wirken die Bilder realistisch, enthalten aber immer wieder Elemente, die man nicht erwarten würde und die die Bilderzählung ins Fantastische kippen lassen. Neben dem Anklang an den Surrealismus ist man versucht, bei den Bildern von Sylvia Berndorfer auch an die mittelalterliche Bedeutungsperspektive zu denken. Dort wurden Menschen und Dinge groß dargestellt, die wichtig und bedeutend waren. Der Kaiser war in einem Bild dann unter Umständen doppelt so groß wie seine Untertanen. Dies hatte jedoch nichts mit der tatsächlichen Perspektive zu tun, sondern war seiner Bedeutung geschuldet. Der Ausdruck einer Hierarchie innerhalb des Bildes war wichtiger als eine realistische Darstellung. Automatisch werden große Dinge innerhalb einer Komposition zuerst wahrgenommen. Der Blick wandert dann in der Regel durch den Bildraum von großen hellen Zonen zu kleineren dunkleren. Die Künstlerin nutzt dieses Phänomen und erzählt Geschichten entlang dieser schrittweisen Wahrnehmung. In Sylvia Berndorfers Arbeiten finden sich wohlbekannte Dinge, an die die Betrachtenden mit Erinnerungen, eigenen Geschichten und Erfahrungen anknüpfen können. Diese sind jedoch durch verschiedene Mittel verfremdet, stehen in einem rätselhaften Zusammenhang, sind fragmentiert oder farblich verändert. Brüche in der Bilderzählung sind für sie ein wichtiges künstlerisches Mittel. Sie benutzt diese Momente des Rätselhaften und Magischen, um die Betrachtenden stutzen zu lassen. Damit gewinnt sie die Aufmerksamkeit der Betrachtenden, die versuchen eine Lösung für das Rätsel zu finden und schon sind sie in ihrer Bilderwelt gefangen. Die Arbeit „What should I be afraid of?“ wirft viele Fragen auf: Was macht die Frau auf dem Einhorn? Warum ist das Einhorn eine Ziege und kein nobles Pferd? Warum hält sie in der Pose des kämpfenden Ritters eine Taschenlampe statt einem Schwert? Und wo um alles in der Welt leuchtet sie hin? Warum trägt sie Ballerinas, wenn sie in der Nacht durch den Wald reitet? Und warum ist ihr Gesichtsausdruck trotz ihrer offenbar nicht sehr rosigen Situation der einer Diva, die hier nur gewinnen kann? „Please be tender“ - bitte ganz sanft sein! Wie süß ist das Kälbchen mit den feuchten dunklen Augen? Die noble Dame wirkt ein wenig bedrängt durch das niedliche Tier, aber sie bewahrt Haltung. Und doch schlachten und verspeisen wir Kälber und denken beim Genuss des zarten Fleisches nicht mehr an die feuchten, dunklen Augen. Nicht jedes Motiv ist gesellschaftskritisch, „Jesolo“ zeigt eine Frau im Badeanzug, die spitze Form des Busens verweist auf die historische Vorlage einer alten Fotografie aus einer Zeit, als es noch keine Strech-Stoffe gab. Die Frau nimmt sich einfach eine Auszeit und genießt die Sonne im Badeanzug. Der Übergang von rosa auf gelb im Hintergrund zeichnet die Decke nach, auf der sie liegt – eine Aura des Wohlfühlens. Waren Sie in der Corona-Krise auch einmal heimlich draußen, obwohl Lockdown war? Haben Sie sich dabei beobachtet gefühlt? Heimliche Augen, die überall auf sie blicken und sich mit jeder Ihrer Bewegungen mystisch mitdrehen wie bei einem Augemobile? „Asking the way“ ist aus einer Collage weiterentwickelt. Während der Pandemie tauchte oft die Frage auf, wem man vertrauen könne, welchen Weg man einschlagen solle? Das Bild ist voller Spannung, unklarer Beziehungen und Gefühle. Der zynisch lachend Mund steht für die, die sich einen Spaß aus der Angst der anderen machen. Das Leben bleibt geheimnisvoll, diese Krise wird vergehen, andere werden kommen. Die allgemeine Frage, wem man in Zeiten der Verunsicherung vertrauen kann, bleibt. Wohin dreht sich das Mobile? In manchen Werken Sylvia Berndorfers lassen rätselhafte Mischwesen die Betrachtenden in eine andere Welt eintauchen. Sie eröffnen einen Fantasieraum, in dem alles möglich scheint und regen einen Nachdenkprozess an. Reale und empfundene Erinnerungen steigen auf. Sie werden durch Objekte mit starker symbolhafter Wirkung getriggert. Die Bilderzählung wirkt surreal und geheimnisvoll. Brüche ergeben sich oft durch unrealistische Farbigkeit und Größenverhältnisse. Humor und Kritik treiben die Wirkung auf die Spitze. Undefinierte Farbräume deuten auf Leerstellen in der Erzählung hin, zu denen es keine Erinnerung mehr gibt. Sie werden von den Betrachtenden durch eigene Erinnerungen und Assoziationen gefüllt. Der Titel „Strange games“ drückt einerseits den spielerischen Zugang der Doodles aus und andererseits das rätselhaft Fremde, kann aber auch im übertragenen Sinn auf die Gesellschaft umgelegt werden: welche eigenartigen Spielchen laufen hier eigentlich? Wer sind die Player? Und worum wird gespielt?

 

 

Mag.a Angelika Doppelbauer, 2022